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Aachener Radhändler bauen Werkstätten aus

Nach dem Corona-Fahrradboom stellen sich Händler neu auf. Dabei rücken fehlende Werkstatt-Kapazitäten besonders in den Fokus.

Unterm Strich bleibt nichts – oder wenig. Fahrradwerkstätten sind keine Goldgrube. Im Gegenteil. Sie arbeiten personalintensiv, rauben Händlern Verkaufsfläche, erfordern ein komplexes Management. Bei manchen Fahrradgeschäften in Aachen warten Kundinnen und Kunden Wochen, manchmal Monate, auf einen Reparatur- oder Servicetermin für ihr Bike – ob nun mit oder ohne Elektroantrieb. Wie stellen sich erfahrene Händler jetzt nach dem coronabedingten Zweirad-Boom zum Saisonbeginn 2023 auf? Zwei versierte Aachener Traditionsbetriebe erlauben einen Blick hinter die Kulissen des Geschäfts mit dem Rad – Flizz Eurobike, Am Gut Wolf 9, und Velo, Karlsgraben 69, mit Werkstatt am Lindenplatz. Dabei rechnet sich – noch – nicht alles...

FOTOS: ROBERT ESSER

Flizz-Mitinhaber Alexander Ludwigs (66) ist seit 42 Jahren im Geschäft; Velo-Gründer Christoph Gier (60) seit 30 Jahren, und seit Anfang 2023 verstärkt durch den Geschäftsführer Pitt Wagner (37).
„Wir bräuchten eigentlich 1000 Quadratmeter Werkstattfläche“, sagt Ludwigs. „Aber es gelingt uns, nachdem wir uns hier vor den Toren der Innenstadt mit unserer kompletten Werkstatt-Logistik auf rund 500 Quadratmetern – neben 3900 Quadratmetern gesamter Betriebsfläche – neu aufgestellt haben, unsere Kundschaft optimal und ohne lange Wartezeiten zu versorgen“, erklärt er. Selbst in der Hochsaison, die jetzt mit dem Frühling im März beginnt, soll die Werkstatt-Wartezeit für Reparaturen zwei Wochen nicht überschreiten.

Von seinen 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – inklusive acht Azubis – arbeiten 30 in der Werkstatt. Tendenz steigend. Rund 9000 Reparaturen und Inspektionen bewältigt das Team pro Jahr an mittlerweile zwölf hochmodernen Werkstattarbeitsplätzen. Überall flimmern Computerterminals, stehen Rad-Hebebühnen, daneben etliche Tausend Teile Spezialwerkzeug und Ersatzteile.
„Natürlich ist der Verkauf von Rädern, E-Bikes und Zubehör die Basis des Geschäftes, was den Ertrag angeht. Sich aber nur auf die Rosinen zu konzentrieren, entspricht nicht unserer Unternehmens-Philosophie. Wir möchten durchgehend – auch nach dem Verkauf eines Fahrrads oder E-Bikes unserer 13 Top-Hersteller – Partner und Problemlöser unserer Kundinnen und Kunden sein. Auch wenn das Werkstattgeschäft deutlich mehr Arbeit und Kosten verursacht“, sagt Ludwigs; buchhalterisch eine „Nullnummer“ in der Gewinn-Verlust-Rechnung. Selbstverständlich ist das nicht. Selbst namhafte und große Händler von Rädern höherer Preisklassen kommen anderswo kaum über zwei oder vier Werkstattplätze hinaus. Wenn überhaupt. Manche bleiben fast ausschließlich Online- Händler. Da ist der Geschäftsfokus offensichtlich.

Weit über die Kapazitäten hinaus

„Wir sehen unsere Aufgabe in der Versorgung Aachens mit Fahrrädern und E-Bikes sowie in den damit verbundenen Dienstleistungen. Das ist in den letzten Jahren durch die enorme Entwicklung der Branche eine riesige Herausforderung geworden, der wir uns gerne stellen. Die Rolle, die heute Räder und E-Bikes in der Mobilität und Freizeitgestaltung spielen, hätten wir uns vor 42 Jahren nicht erträumt“, sagt Ludwigs. Das gehe weit über die in Aachen sicher noch nicht flächendeckend ausreichenden Werkstattkapazitäten hinaus.
„Mit den unglaublichen Innovationen und Entwicklungen der letzten Jahre hat sich die Branche sehr gewandelt.“ Dies gelte für die erforderlichen Fachkenntnisse der Fahrrad-Mechatroniker genauso wie für die Experten im Team, die sich mit mittlerweile zehn Leasinganbietern, Versicherungsthemen und Gewährleistungsabrechnungen etc. beschäftigen. „Es reicht heute nicht mehr, samstags zum Großkampftag ein großes Verkaufsteam am Start zu haben. Das gesamte Paket muss stimmen, auch in den weniger gewinnbringenden Geschäftsbereichen“, stellt der Flizz- Chef fest. „Wir sind mehr Dienstleister als Händler.“

Kurze Lieferzeiten sind wichtig

Tausende Neufahrräder sind bei ihm in drei Etagen oberhalb von Verkaufshalle und Werkstatt eingelagert, um zum Saisonstart leistungsfähig zu sein. Sie wurden gerade in den Wintermonaten montiert. Neben dem unternehmenseigenen Webshop legt Ludwigs – seit einiger Zeit gemeinsam in der Geschäftsführung mit Jonas Scholz – gerade auch beim Neufahrradverkauf Wert darauf, dass es kaum Lieferzeiten gibt. „In der Regel will der Kunde sein Bike sofort mitnehmen“, sagt er. Auch das kostet Montage-Kapazitäten. Zumal – das beobachten Ludwigs und andere Branchenkenner genau – in jüngster Zeit sogar Autohersteller und -händler wie Volkswagen „aggressiv in den Fahrradmarkt eingreifen und selbst zum Fahrradverkäufer werden“, wie der Flizz-Boss bemerkt. Verkehrte Welt. Die Velo-Chefs Gier und Wagner agieren mitten im Herzen der Aachener Innenstadt. Man zählt 26 feste Mitarbeiter, über die Hälfte davon in der Werkstatt. Die ist – unweit des Firmensitzes an der Ecke Templergraben/Königsstraße – inzwischen am Lindenplatz beheimatet. Die Erweiterung der Werkstatt mit dem Umzug an einen eigenen Standort war die größte Investition der Firmengeschichte. Es geht um Kundennähe mitten in der Innenstadt, problemlos per Rad und zu Fuß erreichbar.

Dass es Velo mit der Versorgung der Menschen in der Innenstadt ernst meint, zeigt sich deutlich bei der Größe von Verkauf zu Werkstatt: „Wir sind nun so aufgestellt, dass wir über 450 Quadratmeter Werkstattfläche und etwa 200 Quadratmeter Verkaufsfläche am Karlsgraben verfügen“, erklärt Gier.„In der Corona-Zeit sind ja alle Dämme gebrochen; die Verkaufszahlen schossen in die Höhe. Um unsere hohe Servicequalität zu halten und auszubauen, haben wir Ende 2020 entschieden, unsere Werkstattkapazitäten deutlich auszuweiten.“ Und dazu gehöre zwingend eine leistungsfähige Werkstatt, hier mit acht hochmodernen Arbeitsplätzen für die Mechatroniker; natürlich Lastenradtauglich – ein Schwerpunkt von Velo. Alle ausgestattet mit Computern und elektrischen Hebebühnen auch für Lastenräder mit bis zu 60 Kilogramm Gewicht.

Besonderer Service: Die Kunden können schon seit einiger Zeit über ein Onlinetool, das gerade nochmal überarbeitet wird, Termine bequem von zu Hause oder übers Smartphone buchen. „Wartezeiten von mehreren Monaten sind einfach nicht akzeptabel, auch nicht in der Hochsaison“, erklärt Wagner. Auch Velo strebt höchstens 14 Tage an, bietet Sofortreparaturen für kleine, dringende Fälle an und kann in der Regel auch kurzfristiger Termine für Notfälle anbieten. „Es kommt sehr darauf an, was an dem Rad gemacht werden muss. Ein platter Reifen ist ein Notfall – und hat eine hohe Dringlichkeit. Darüber hinaus ist es auch schneller erledigt als die Komplett-Inspektion eines Lastenpedelecs“, sagt der Geschäftsführer. Die Arbeitsweise steht modernen Autowerkstätten nicht nach. Früher durfte jeder an Fahrrädern – auch privat – herumschrauben. Moderne Pedelecs sind komplexe Fahrzeuge, an die nur zertifizierte Fachleute Hand anlegen sollten. Fehler – etwa am Motor oder dem Akku – werden per Computer ausgelesen, Programmierung gegört zum Berufsbild des Zweirad-Mechatronikers genauso wie das Schrauben. „Wir freuen uns sehr, dass wir nun endlich wieder zwei Mechatroniker ausbilden können aufgrund der Ausweitung unserer Werkstatt“, sagt er. Der Anspruch endet nicht damit, höchsten Qualitätsansprüchen bei Reparaturen gerecht zu werden. „Wir wollen unseren Kunden ermöglichen, nicht auf andere Verkehrsmittel ausweichen zu müssen. So halten wir eine Flotte von 35 Servicerädern mit und ohne Antrieb vor, die unseren Werkstattkunden bisher kostenfrei für die Dauer ihrer Reparatur zur Verfügung gestellt werden“, schildert Gier. „Grundsätzlich spielt es dabei zunächst einmal nur eine untergeordnete Rolle, dass unsere Werkstatt keinen Gewinn abwirft“, betont der Velo-Chef. „Für uns zählt das Gesamtpaket und die optimale Betreuung unserer Kunden.“ Dazu gehöre eine bedarfsorientierte Vorauswahl an Fahrrädern und eine fachgerechte Beratung vor Ort, Leasingangebote und Versicherungsleistungen. „Besonders beliebt sind zurzeit Lasten-Pedelecs, besonders für den Kindertransport und den täglichen Einkauf, aber auch schicke, leichte Urban E-Bikes, Trekking und E-Bikes sowie ebenso klassische Trekkingräder ohne Motor und Gravelbikes“, zählt Wagner auf.

Gemeinsames Ziel: Verkehrswende

Velo-Chef Gier wird – trotz der Flächenproblematik – den Standort am Rande der Altstadt halten. „Ich bin totaler Innenstadt-Fan, ich liebe den Einzelhandel vor Ort. Wir wollen dazu beitragen, ein Teil einer lebenswerten lebendigen Innenstadt zu sein“, sagt er Gier, Wagner und Ludwigs – Velo und Flizz Eurobike – verstehen sich übrigens nicht als Konkurrenz. Unterm Strich zähle das Ziel: die Verkehrswende. Und die rechne sich letztlich in jedem Fall für alle.

FOTOS: ROBERT ESSER

Original-Artikel aus der Aachener Zeitung

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